Abschlußkonzert des Klavier-Festivals Ruhr 2022/23 in Wuppertal

Bernstein, Ginastera, Philip Glass, MDR Sinfonieorchester

von Johannes Vesper

Foto © Dana Schmidt

Bernstein, Ginastera, Philip Glass, MDR Sinfonieorchester
 
Abschlußkonzert der Saison 2022/23 des Klavier-Festivals Ruhr in Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Vor dem Konzert und vor der Historischen Stadthalle Wuppertal wurde das Publikum schon mit Musik empfangen. Umgedichtet war „Der Steiger kommt“ zu hören. Man protestierte mit Banner und Info-Tisch gegen RWE, den Hauptsponsor des Klavier-Festivals Ruhr. Da war für den roten Flügel des Festivals kein Platz mehr. Der festlichen Konzertstimmung an diesem blauen Sommerabend schadete die Aktion aber nicht.
Im ausverkauften Großen Saal begrüßte diesmal Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW Ina Brandes das Publikum zu diesem letzten Konzert der letzten, 28. Saison des Klavier-Fesitvals Ruhr unter Franz Xaver Ohnesorg, dem das Publikum lange applaudierte. Ministerin Brandes sprach über die Bedeutung dieses Leuchtturmprojektes für das Land, erzählte über das Education-Projekt des Festivals in Duisburg-Marxloh und ihren Besuch daselbst. Sie hatte dort 26 Kinder aus 26 Nationen bei Choreographie und Tanz erleben können und gespürt, welche Bedeutung das Projekt dort seit 2008 für den Brennpunkt-Stadtteil bekommen hat. (Bei Interesse siehe „Musik in Marxloh“). Übrigens das Klavier-Festival Ruhr mit dieser Education-Arbeit erhält keinerlei staatliche Unterstützung!
 
Dann aber begann das Konzert. Leider war das Programm geändert worden. Statt „Heil Dir im Siegerkranz“ für den scheidenden Intendanten („Variations on America“ des 17jährigen Charles Ives) gab es Danzas del Ballet „Estancia (Suite für Orchester op. 8a von Alberto Ginastera (1916-1963).
Aber vorher genoß das Publikum die sinfonischen Tänze aus Leonard Bernsteins (1918-1990) „Westside Story“. Großartig die rhythmisierten Orchesterschläge zu Anfang. Glissandi und Fanfare, die bekannten Melodien, ein Ohrwurm nach dem anderen, „Maria“ erinnerten an die eigene Jugend und beflügelten die Seele. In frappierendem Präsenz kam diese sinfonische Bigband, gewürzt mit Jazz, Latin, Fingerschnipsen und Trillerpfeife über die Rampe. Holzwerk und Zwischenrufe aus dem Orchester spiegelten Leben und Flapsigkeit auf den Straßen New Yorks. Herzschmerz und Herzflimmern boten Solobratsche und Solocello, bald erweitert zum fabelhaften Streichquartett, wie es sich für Romeo und Julia um 1960 gehörte. Da war das Publikum zum ersten Mal begeistert.
Das Ballett von Ginastero hätte in New York unter George Balanchine aufgeführt werden sollen, wozu es aber nicht kam. Die Suite wurde in Buenos Aires uraufgeführt und spiegelt argentinische Volksmusik, lebt vom Malamba, dem aufreizenden, argentinischen Nationaltanz. Da stampfen Gaucho-Stiefel in aufregenden Rhythmen durch die moderne, vielleicht gelegentlich an Bartok erinnernde Musik, galoppieren Pferde über die bebende Pampa, wenn Landarbeiter- und Viehtreiber zu harter Schlagzeugarbeit musikalisch-sinfonisch tanzen. Aber im „Weizentanz“ spiegelt sich auch die unendliche Weite, Melancholie und tiefgründige Ruhe der Pampa. Zu Hochform lief unter der routinierten wie temperamentvollen Leitung von Dennis Russel Davies (geb. 1944) das MDR Sinfonieorchester, eines der ältesten Rundfunk-Sinfonieorchester der Welt, im „Danza final“ (Malambo) auf. Grandiose komplexe Rhythmen, immer mal wieder überraschend und kurz verzögert stimulierten das Publikum, welches bis zum grandiosen Applaus vor der Pause kaum auf den Stühlen zu halten war.


Am Flügel: Maki Namekawa - Foto © Dana Schmidt
 
Nach der Pause gab es dann die Uraufführung von „M“ -Concerto for Piano and Orchestra von Philip Glass (geb. 1937). In einem Grußschreiben (eingelegt in das Programm) erinnerte der Komponist an alte Zeiten mit F.X. Ohnesorg in New York, an die Freundschaft mit der Pianistin Maki Namekawa und dem Dirigenten des heutigen Abends, an den speziellen Geist, die Exzellenz und Abenteuerlust des Festivals dank dieses Intendanten. Bei dem Auftragswerk des Abends handelte es sich ursprünglich, wie dem Programm zu entnehmen war, um die Synthesizer-Version einer Filmmusik von 1985 für den Film „Mishima -ein Leben in vier Kapiteln“, die vom Regisseur entsprechend seinen Vorstellungen eingesetzt wurde. Aus diesem Soundtrack hat Michael Riesman (Produzent, Komponist, Pianist, Keyboarder), zunächst eine reine Klavierfassung und aktuell dieses Klavierkonzert arrangiert. Maki Namekawa und Dennis Russel Davies waren prädestiniert für diese Uraufführung, haben sie doch als Klavierduo bereits 2008 und 2013 Werke von Philip Glass beim Klavier-Festival Ruhr uraufgeführt. Maki, heute Abend in großer weißer Robe, ist begeistert. „Das Stück ist mir auf den Leib komponiert worden“ wird sie zitiert. Eine „Flimmerkistenmusik“ („Runaway Horses“) von Glass war kürzlich vom Sinfonieorchester Wuppertal im Skulpturenpark Waldfrieden zu hören. Bekannt wurde der Komponist u.a. von mehr als 20 Opern und zehn Sinfonien 1976 vor allem mit seiner Oper „Einstein on the Beach“ (2017 in Dortmund auf dem Spielplan), später auch mit 39 Filmmusiken. Glass gilt (als einer der Erfinder der Minimal Music. Begonnen hatte er mit Zwölftonmusik. Nach Aufenthalt in Paris und Studium bei Nadja Boulanger, nach Reisen in den Orient und Afrika änderte er seine Musik, die heute modern, einfach, spätromantisch, tonal daherkommt und charakterisiert ist durch Repetitionen und Reihungen, ständige Wiederholungen von einfachen Tonsequenzen. Microfragmenten oder gar einzelnen Tönen (Bedauernswert der Solocellist). Eine gewisse Spannung kommt gelegentlich auf durch Akzentverschiebungen im Rhythmus, Parallelverschiebungen der Tonfolgen oder kurzen, eingeworfenen Trommelwirbeln. Das Konzert begann mit PP-Glockenspiel in verschiedenen Variationen. Streicherarpeggien erinnerten an das Wagnersche „Rheingold“. Später entwickelt sich mit einer absteigenden Viertonfolge fast Choralcharakter. Kadenzartige Klavierepisoden bleiben ohne musikalische Entwicklung. So bietet diese Musik mit orchestraler Opulenz differenzierte Klangerlebnisse und entspannte, angenehme Stimmung. Das Publikum war begeistert, feierte die Solistin wie das Orchester mit stehenden Ovationen und Blumen. Ein würdiges Abschlußkonzert.
 
Maki Namekawa MDR Sinfonieorchester Dennis Russel Davies (Dirigent): Leonard Bernstein: Sinfonische Tänze aus West Side Story. Alberto Ginastero: Danzas del Ballet „Estancia“ Suite für Orchester op. 8°. Philip Glass: M-Concerto for Piano and Orchestra, arranged by Michael Riesman (Uraufführung des Auftragswerkes des Klavier-Festival Ruhr)